Jamaica*
Es
war einmal in einer nicht näher zu bestimmenden Zeit ein Haufen von
pubertierenden Jugendlichen, die die Welt verändern wollten, sich
aber nicht einigen konnten, wie das gehen sollte. Wie üblich waren
diese Kids in Grüppchen und Gangs zersplittert und konnten sich gegenseitig
nicht leiden.
Verschärft wurde die Situation dadurch, dass sich gegen den bis dahin
allgemein anerkannten Oberboss, den großspurigen Gerd, einige seiner
Untergebenen um eine Neue scharten, die sich die Iron-Angie nannte, eine
Zugezogene, die noch nicht mal gut aussah. Sie argumentierte, sie sei
nicht blond und kaufe ihre Frisuren im Mediamarkt, also sei sie definitiv
nicht blöd.
Missmutig saß Gangster-Gerd im Clubhaus und musste eines Tages von
dort mit ansehen, wie Iron-Angie mit einigen ihrer Gefolgsleute ausgerechnet
die Raucherecke im Park besetzte. Als er dann noch sah, dass da einige
dabei waren, die mal zu ihm aufgeschaut hatten und sogar seine Exfreundin
jetzt mit Angie in der Runde saß, da schäumte er vor Wut, pfefferte
sein Spionage-Fernrohr in die Ecke und schrie: „Ich hab keine Lust
mehr! So macht das doch keinen Spaß mehr!!!“
Durch den Lärm aufgeschreckt kam Bassett angelaufen (er hieß
so wegen seines faltig hängenden Gesichts), einer von Gerds ältesten
Freunden, und versuchte, ihn etwas zu beruhigen. (Das war einer der wenigen
Momente, in denen er einmal nicht nur das sagte, was Gangster-Gerd ihm
vorgegeben hatte.) Und so konnte er seinen Chef davon überzeugen,
dass es besser sei, Angie zur Rede zu stellen und ihr zu zeigen, wer Chef
hier im Park sei.
So schritt Gerd aus und auf Angie zu. Die sah ihn von weitem kommen, stellte
sich breitbeinig und mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor
ihm auf und sah ihn trotzig an.
Da verließ Gerd all sein Mut. Am liebsten wäre er wieder weggelaufen,
aber das hatte ihm Bassett verboten. So forderte er Iron-Angie zum Duell.
Das sei ein schlauer Plan, dachte er, denn so konnte er noch etwas trainieren
und ein paar neue Griffe und Schlagtechniken üben.
Dummerweise konnte Angie das auch. Und sie tat es. Und anfangs machte
sie auch so große Fortschritte, dass sie sich schon als Siegerin
bejubeln ließ, bevor der Kampf überhaupt stattgefunden hatte.
Das hatte sie sich bei den großen Boxern abgeschaut: Einschüchterung.
Gerd dagegen freute sich zuerst fast, bot sich ihm doch die Möglichkeit,
so sauber aus der lästig gewordenen Stellung zu kommen, die er, allein
und ungeliebt, im Clubhaus besetzte.
Bis… ja, bis die Zweifel kamen. Gegen ein Mädchen konnte er
doch nicht verlieren! Also trainierte er ehrgeiziger und begann gleichzeitig
mit der psychologischen Kriegsführung.
Und dann war der große tag gekommen. Auf der großen Wiese
im Park standen sie Gangster-Gerd und Iron-Angie gegenüber, umringt
von grollenden und kreischenden Teenies, die ihre Idole anfeuerten. Der
Kampf ging hin und her und nach etlichen Prellungen, Schrammen und Bisswunden
trennte man sich. Einen klaren Sieger gab es nicht, nur Angie war nach
Meinung der meisten etwas besser gewesen, das mussten sogar einige der
„gangstas“ zugeben.
Nun wollte also Angie ins Clubhaus einziehen. Vorher wollte sie sich aber
noch umziehen und die blutigen Schrammen desinfizieren.
Diese Zeit nutzte Gangster-Gerd und verbarrikadierte sich im Clubhaus,
denn er hatte erkannt, dass man liebgewordene Gewohnheiten nicht so leicht
abgibt, auch wenn sie manchmal lästig wurden. Außerdem hatte
er den Blick seine Freundin Stuten-Dorchen (die so hieß, weil sie
immer süße Butterbrote dabei hatte) gesehen. Macht macht sexy,
dachte er sich und um Dorchen zu halten, musste er Chef des Parks bleiben.
Angie brauchte einige Zeit und so drehte sich Gerd erstmal zur Entspannung
eine Tüte, die hatte er sich, seiner Meinung nach, redlich verdient.
Als dann gut zwei Stunden später Angie mit ihren Gefolgsleuten kamen
und das Clubhaus stürmten, da saß er nur grinsend vor ihnen
in seinem fadenscheinigen Chefsessel und verkündete, er wolle Chef
bleiben. Um des lieben Friedens willen wäre er bereit, Angie einen
Waffenstillstand anzubieten, Angie könne sogar mit ins Clubhaus ziehen,
aber er wolle das größere Zimmer haben, im kleineren regnete
es nämlich durch.
Das ließen sich Angies Mädels nicht gefallen und so konnte
man gleich darauf sehen, wie eine Horde ausgelassener Halbstarker ihren
ehemaligen Anführer mitsamt seinem Sessel aus dem Clubhaus trugen,
während dieser immer noch dämlich grinsend verkündete,
er werde dort nicht raus gehen. Tat er ja auch nicht, er wurde getragen.
Angie gefiel es aber so allein im Clubhaus auch nicht so recht und so
blieb das erstmal leer stehen. Angie saß lieber mit ihren Leuten
in der Raucherecke im Park und blättere mit den anderen Mädels
in der bravo-Girl. Und mit der Zeit lernte sie so sogar den einen oder
anderen Schminktipp. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann kiffen sie
noch heute…
Achtung: Satire! Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind volle
Absicht!
*
Die Idee und der Titel „Jamaica“ entstanden am Abend der Bundestagswahl
2005, als in der Berichterstattung immer wieder von der möglichen
"Jamaica-Koalition" gesprochen wurde, was Gerhard Schröder
anscheinend sehr inspirierend aufnahm. Anders konnte ich mir sein Auftreten
in der sog. Elefantenrunde nicht erklären, in der er (nach meinem
Empfinden) breit grinsend an den Realitäten vorbei redete. Ich fand,
er wirkte ziemlich bekifft, bei jedem anderen hätte man wohl einen
Drogen- oder Alkoholtest durchgeführt... |