19.9.2005
Jamaica*

Es war einmal in einer nicht näher zu bestimmenden Zeit ein Haufen von pubertierenden Jugendlichen, die die Welt verändern wollten, sich aber nicht einigen konnten, wie das gehen sollte. Wie üblich waren diese Kids in Grüppchen und Gangs zersplittert und konnten sich gegenseitig nicht leiden.
Verschärft wurde die Situation dadurch, dass sich gegen den bis dahin allgemein anerkannten Oberboss, den großspurigen Gerd, einige seiner Untergebenen um eine Neue scharten, die sich die Iron-Angie nannte, eine Zugezogene, die noch nicht mal gut aussah. Sie argumentierte, sie sei nicht blond und kaufe ihre Frisuren im Mediamarkt, also sei sie definitiv nicht blöd.
Missmutig saß Gangster-Gerd im Clubhaus und musste eines Tages von dort mit ansehen, wie Iron-Angie mit einigen ihrer Gefolgsleute ausgerechnet die Raucherecke im Park besetzte. Als er dann noch sah, dass da einige dabei waren, die mal zu ihm aufgeschaut hatten und sogar seine Exfreundin jetzt mit Angie in der Runde saß, da schäumte er vor Wut, pfefferte sein Spionage-Fernrohr in die Ecke und schrie: „Ich hab keine Lust mehr! So macht das doch keinen Spaß mehr!!!“
Durch den Lärm aufgeschreckt kam Bassett angelaufen (er hieß so wegen seines faltig hängenden Gesichts), einer von Gerds ältesten Freunden, und versuchte, ihn etwas zu beruhigen. (Das war einer der wenigen Momente, in denen er einmal nicht nur das sagte, was Gangster-Gerd ihm vorgegeben hatte.) Und so konnte er seinen Chef davon überzeugen, dass es besser sei, Angie zur Rede zu stellen und ihr zu zeigen, wer Chef hier im Park sei.
So schritt Gerd aus und auf Angie zu. Die sah ihn von weitem kommen, stellte sich breitbeinig und mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor ihm auf und sah ihn trotzig an.
Da verließ Gerd all sein Mut. Am liebsten wäre er wieder weggelaufen, aber das hatte ihm Bassett verboten. So forderte er Iron-Angie zum Duell. Das sei ein schlauer Plan, dachte er, denn so konnte er noch etwas trainieren und ein paar neue Griffe und Schlagtechniken üben.
Dummerweise konnte Angie das auch. Und sie tat es. Und anfangs machte sie auch so große Fortschritte, dass sie sich schon als Siegerin bejubeln ließ, bevor der Kampf überhaupt stattgefunden hatte. Das hatte sie sich bei den großen Boxern abgeschaut: Einschüchterung. Gerd dagegen freute sich zuerst fast, bot sich ihm doch die Möglichkeit, so sauber aus der lästig gewordenen Stellung zu kommen, die er, allein und ungeliebt, im Clubhaus besetzte.
Bis… ja, bis die Zweifel kamen. Gegen ein Mädchen konnte er doch nicht verlieren! Also trainierte er ehrgeiziger und begann gleichzeitig mit der psychologischen Kriegsführung.
Und dann war der große tag gekommen. Auf der großen Wiese im Park standen sie Gangster-Gerd und Iron-Angie gegenüber, umringt von grollenden und kreischenden Teenies, die ihre Idole anfeuerten. Der Kampf ging hin und her und nach etlichen Prellungen, Schrammen und Bisswunden trennte man sich. Einen klaren Sieger gab es nicht, nur Angie war nach Meinung der meisten etwas besser gewesen, das mussten sogar einige der „gangstas“ zugeben.
Nun wollte also Angie ins Clubhaus einziehen. Vorher wollte sie sich aber noch umziehen und die blutigen Schrammen desinfizieren.
Diese Zeit nutzte Gangster-Gerd und verbarrikadierte sich im Clubhaus, denn er hatte erkannt, dass man liebgewordene Gewohnheiten nicht so leicht abgibt, auch wenn sie manchmal lästig wurden. Außerdem hatte er den Blick seine Freundin Stuten-Dorchen (die so hieß, weil sie immer süße Butterbrote dabei hatte) gesehen. Macht macht sexy, dachte er sich und um Dorchen zu halten, musste er Chef des Parks bleiben.
Angie brauchte einige Zeit und so drehte sich Gerd erstmal zur Entspannung eine Tüte, die hatte er sich, seiner Meinung nach, redlich verdient. Als dann gut zwei Stunden später Angie mit ihren Gefolgsleuten kamen und das Clubhaus stürmten, da saß er nur grinsend vor ihnen in seinem fadenscheinigen Chefsessel und verkündete, er wolle Chef bleiben. Um des lieben Friedens willen wäre er bereit, Angie einen Waffenstillstand anzubieten, Angie könne sogar mit ins Clubhaus ziehen, aber er wolle das größere Zimmer haben, im kleineren regnete es nämlich durch.
Das ließen sich Angies Mädels nicht gefallen und so konnte man gleich darauf sehen, wie eine Horde ausgelassener Halbstarker ihren ehemaligen Anführer mitsamt seinem Sessel aus dem Clubhaus trugen, während dieser immer noch dämlich grinsend verkündete, er werde dort nicht raus gehen. Tat er ja auch nicht, er wurde getragen.
Angie gefiel es aber so allein im Clubhaus auch nicht so recht und so blieb das erstmal leer stehen. Angie saß lieber mit ihren Leuten in der Raucherecke im Park und blättere mit den anderen Mädels in der bravo-Girl. Und mit der Zeit lernte sie so sogar den einen oder anderen Schminktipp. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann kiffen sie noch heute…


Achtung: Satire! Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind volle Absicht!

 

* Die Idee und der Titel „Jamaica“ entstanden am Abend der Bundestagswahl 2005, als in der Berichterstattung immer wieder von der möglichen "Jamaica-Koalition" gesprochen wurde, was Gerhard Schröder anscheinend sehr inspirierend aufnahm. Anders konnte ich mir sein Auftreten in der sog. Elefantenrunde nicht erklären, in der er (nach meinem Empfinden) breit grinsend an den Realitäten vorbei redete. Ich fand, er wirkte ziemlich bekifft, bei jedem anderen hätte man wohl einen Drogen- oder Alkoholtest durchgeführt...