Rächtschraiprephorm
Nun
ist es also soweit. 103 Jahre lang haben die Deutschen und ihre Sprachverwandten
mehr oder weniger gewusst, wie sie zu schreiben haben. Und wenn man es
nicht genau wusste, konnte man nachschlagen.
Oder es war, wie in den letzten sieben Jahren, sowieso egal. Da durfte
ja jeder, wie er wollte. Und jetzt?
Stichtag 1. August 2005. Ich bin endlich staatlich anerkannter Erzieher
(Applaus). Bis auf Hausaufgabenkontrolle, bzw. -hilfe brauch ich das ja
eigentlich nicht mehr, aber trotzdem. Keiner kann einem heute noch einfach
sagen, wie was zu schreiben ist. Erst mal muss geklärt werden, wo
man sich denn gerade aufhält. So schwachsinnig ich das finde, dass
hier über Jahrzehnte hart ausgekämpfte Einigungen über
Rechtschreibregeln einfach mal eben gekippt werden, weil sie ein paar
Köpfen, die gerade oben sind, nicht gefallen, es hat auch sein Gutes.
Ich darf hier in NRW z.B. noch Delphin schreiben. Dieses Tier hat die
Reduzierung auf ein "f" einfach nicht verdient. Und ich darf
jemanden wieder sehen, wenn ich mal die Augen verbunden hatte. in Hessen
z.B. darf ich den dann nur wiedersehen (aber das wird ja wohl noch geändert)
Allerdings werde ich das auch weiterhin tun, auch wenn das irgendwann
mal falsch wird. Wird ja nicht mehr benotet und mehr als ein paar besserwisserische
Bemerkungen im Gästebuch muss ich vermutlich nicht befürchten.
Vielleicht kommt da ja auch mal ein Prozess in Gang, der dazu führt,
dass bei uns nicht mehr alles und jedes geregelt werden muss (glaube ich
aber angesichts der EU nicht dran), oder zumindest, dass man ein bisschen
lockerer damit umgeht - wo es möglich ist.
Ich gebe zu, mir persönlich ist richtige Orthographie (schreibt man
die jetzt noch so? Auch außerhalb von NRW und Bayern?) schon irgendwie
wichtig. Aber der symbolische Wert dieser Entwicklung sollte nicht so
leicht übersehen werden. Immerhin basiert der Duden ursprünglich
auf der "preußischen Rechtschreibung". Mal wieder der
Preuße also. Der Todfeind des Bayern schlechthin. Und auch des Rheinländers
(die ethnische Minderheit der Westfalen nehmen wir für NRW einfach
mal mit), der sich gegen die preußische Herrschaft immer gewehrt
hat, wenn auch sehr viel subtiler als der eher grobschlächtige Bayer.
Letztlich ist der Preuße doch der gemeinsame Feind, auch wenn das
so niemand hören will. Und gegen den haben sich jetzt unsere Landesoberen
durchgesetzt. Ein kleiner, unbedeutend scheinender Seitenheib, aber doch
mit großer symbolischer Bedeutung. Was zählen dagegen schon
Gemeinsamkeiten oder wirtschaftliche Faktoren, wie z.B. immer neue Schulbücher,
jetzt sogar in zweifacher Ausgabe. Es lebe die symbolische Geste! Wir
könnens uns ja leisten!
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